Riesenring für schnelle Teilchen: Nachfolger des Teilchenbeschleunigers LHC soll eine Maschine im Megamaßstab werden – der 91 Kilometer große Future Circular Collider (FCC), wie das Forschungszentrum CERN berichtet. Der neue Beschleuniger soll ab 2030 gebaut werden und dann zunächst Elektronen und Positronen kollidieren. Einige Jahrzehnte später folgen Kollisionen von Protonen und Schwerionen mit bis zu 100 Teraelektronenvolt Energie, so der aktuelle Machbarkeitsbericht.
Der Large Hadron Collider (LHC) des CERN ist der größte und leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger weltweit. In seinem 27-Kilometer-Ring bei Genf kollidieren Protonen und Schwerionen mit fast Lichtgeschwindigkeit und gut 13 Teraelektronenvolt Energie. Dem LHC und seinen Detektoren verdanken wir die Entdeckung des Higgs-Bosons, aber auch erste Einblicke in die „kosmische Ursuppe“, die Struktur der Materie und die Grundkräfte der Physik.
Das Problem jedoch: Noch immer sind viele große Fragen der Physik ungeklärt, das geltende Standardmodell der Teilchenphysik hat Lücken. So ist unklar, wie die vierte Grundkraft – die Gravitation – mit dem Rest der Grundkräfte zusammenhängt. Ebenfalls offen ist, aus welchen Teilchen die Dunkle Materie besteht, was genau die Dunkle Energie ist und warum sich Antimaterie und Materie nach dem Urknall nicht komplett gegenseitig auslöschten. Auch zu Neutrinos, der elektroschwachen Wechselwirkung und dem Verhalten des Higgs-Bosons gibt es noch Fragen.
Doch trotz großer Hoffnungen konnte auch der LHC diese Rätsel nicht lösen. Das legt nahe, dass sich die Antworten in einem noch höheren Energiebereich verbergen oder aber an einer nicht von den LHC-Detektoren erfassten Stelle. Deshalb überlegen Physiker schon seit einigen Jahren, welche zukünftigen Anlagen dafür geeignet wären. In der Diskussion sind Linearbeschleuniger, aber auch noch größere Ringbeschleuniger.
Jetzt hat das Forschungszentrum CERN seine Machbarkeitsstudie für den Nachfolger des LJHC vorgestellt: den Future Circular Collider (FCC). Dabei handelt es sich um einen unterirdischen Ringbeschleuniger von 91 Kilometer Länge, der vier große Detektoranlagen und acht Gebäudekomplexe an der Oberfläche umfasst. Wird diese Anlage bis 2028 von den Mitgliedsländern des CERN genehmigt, soll der Bau in den 2030er Jahren beginnen, in den 2040ern könnte der FCC seinen Betrieb aufnehmen.
„Der FCC wäre der größte jemals gebaute Teilchenbeschleuniger“, so das CERN. Für die 180 bis 400 Meter tief unter der Erde liegenden Tunnel und Einbauten müssen laut Machbarkeitsbericht rund 16,4 Millionen Tonnen Gestein ausgehoben werden. Zum Vergleich: Beim Bahnhofsprojekt Stuttgart-21 sind es rund 20 Millionen Tonnen. Die Bauteile für die Detektoren und supraleitenden Magnete entlang des Rings sind tonnenschwer und gespickt mit modernster Technik.
Kosten, Strom und Wasser
Die Baukosten für den FCC liegen dem Machbarkeitsbericht zufolge bei knapp 16 Milliarden Euro, verteilt auf 15 Jahre. Der größte Teil davon wird aus dem jährlichen Budget des CERN stammen. Gleichzeitig könnte das Projekt schon in der Bauphase einige der Investitionen wett machen, unter anderem durch tausende Jobs und positive Effekte auf die regionale Wirtschaft. Allein dies könnte rund vier Milliarden Euro ausmachen.
Den nötigen Strom für den Betrieb der ersten Ausbaustufe des FCC-Beschleunigers beziffert das CERN auf 1,0 bis 1,8 Terawattstunden pro Jahr – 0,2 Terawattstunden mehr als die „High-Luminosity“-Phase des LHC. Geliefert wird die Elektrizität aus dem französischen Stromnetz, zusätzliche Kraftwerke oder Anlagen sollen dafür nicht nötig sein. Der Wasserverbrauch liegt etwa auf gleicher Höhe wie beim LHC.
Damit sich der Aufwand lohnt, kombiniert der FCC zwei Beschleunigertypen in einem: In den ersten rund 15 Jahren soll der Ring als Elektron-Positron-Beschleuniger (FCC-ee) betrieben werden. Diese Teilchen haben den Vorteil, dass sie mit geringerem Aufwand auf hohe Energien gebracht werden können als die schwereren Protonen. Die Kollisionen im FCC-ee können dadurch weit mehr Higgs-Bosonen, W- und Z-Bosonen, schwere Quarks und andere energiereiche Teilchen erzeugen als der LHC.
„Der FCC-ee bietet daher ideale Bedingungen für die Erforschung der vier schwersten Teilchen im Standardmodell und für Präzisionsmessungen, die Suche nach seltenen oder verbotenen Prozessen oder die Entdeckung nur schwach gekoppelter Teilchen“, erklärt der Physiker Patrick Janot vom CERN. „Mit dem FCC-ee könnten wir die Eigenschaften des Higgs-Bosons, der Eichbosonen der elektroschwachen Kraft und des Top-Quarks um einige Größenordnungen präziser kartieren als heute.“
…dann ein 100-TeV-Protonenbeschleuniger
In der zweiten Nutzungsphase soll der FCC dann zum Hadron Collider (FCC-hh) umgebaut werden. Wie beim LHC werden dann Protonen und wahlweise auch Schwerionen im Beschleunigerring kollidieren – allerdings dann mit Energien von bis zu 100 Teraelektronenvolt. Dies könnte den Nachweis weit schwererer Teilchen erlauben als heute möglich. Physikalisch spannend wäre dies unter anderem für die Frage, ob es noch weitere Higgs-Bosonen gibt, für die Dunkle Materie, aber auch für die Suche nach der bisher nur postulierten Supersymmetrie.
Der FCC-hh könnte in den 2070er Jahren den Betrieb aufnehmen und soll dann mindestens 25 Jahre lang laufen. „Jede dieser beiden Maschinen hat ihre eigene wissenschaftliche Berechtigung“, sagt Janot. „Zusammen bieten sie einen Langzeit-Plan für die Teilchenphysik des 21. Jahrhunderts.“ Ob der Mega-Beschleuniger Wirtlichkeit wird, entscheidet sich in den nächsten Jahren. Der Rat der CERN-Mitgliedsländer wird den Machbarkeitsbericht nun prüfen und soll bis 2028 eine Entscheidung fällen.